Abitur aus dem Internet

Abitur am PC: Mona Mittelstadt erarbeitet sich das Zeugnis der Reife im Wohnzimmer .RP-Foto: Isabella Raupold

Lust auf Weiterbildung, aber keine Zeit für die Schule?

Das Abendgymnasium Viersen hilft: Dort gibt's das Abitur via Internet.

  Von HOLGER HINTZEN

VIERSEN/MÖNCHENGLADBACH. Die Welt der Zahlen barg so einige Geheimnisse, als Mona Mittelstädt zum Gymnasium ging. „In Mathe war ich damals nicht so berauschend", sagt die 33-Jährige. Heute steht Mona Mittelstädt in Mathematik „sehr gut". In die Schule geht sie allerdings nur selten. Schließlich steht in der Ecke ihres Wohnzimmers ein PC - und sehr viel mehr braucht man heute nicht, um das Abitur zu machen. Das Abendgymnasium Viersen macht's möglich. Das gehört seit September 2002 zum Kreis von acht nordrhein-westfälischen Weiterbildungskollegs, die Bildungshungrigen die Möglichkeit bieten, sich das Zeugnis der Reife weitgehend daheim zu erarbeiten.

Büffeln nach Feierabend

Echte Klassenräume und leibhafti­ge Lehrer sehen Mona Mittelstädt und 18 weitere Online-Gymnasiasten nur an Montag- und Freitagabenden beim Präsenzunterricht im Abendgymnasium. Das restliche Büffeln erledigt die 33-Jährige daheim. Zwar gibt's für Hausaufgaben feste Abgabetermine. Doch wann und wie viel die Online-Gymnasiastin paukt, kann sie sich frei einteilen. Im Prinzip. In der Praxis beugt sich Mona Mittelstädt meist abends über ihre Bücher und Unterlagen. Denn tagsüber kümmert sie sich in einem Halbtagsjob um die Verwaltung einer Computerfirma, um zwei Kinder und einen Haushalt.

„Man muss alleine arbeiten können und sich viele Dinge selbst aneignen", sagt die Heim-Arbeiterin. Wer eine abgeschlossene Berufsausbildung und Berufserfahrung hat, bringt freilich einiges an Arbeitsroutine mit. Und völlig alleine ist die Schülerin auch nicht. „Oft knoble ich abends mit meinem Mann an  einer Mathe-Aufgabe herum", erzählt Mona Mittelstädt. Und wenn via Internet die Bio-Lehrerin als Experiment verordnet: „Rei­zen Sie einen Regenwurm mit einem Pinsel", ist nicht nur die Gymnasiastin mit Feuereifer dabei. „Ich habe einen achtjährigen Sohn, mit dem mache ich diese Sachen. Im Moment ist Bio ein richtiger Spielplatz - einfach göttlich", schwärmt die Heim-Schülerin.

Auch sonst hat das Bildungs-Bestreben nette Effekte: „Man interessiert sich plötzlich für viel mehr Dinge. Dass ich jemals wieder ein Biologie-Buch anfassen würde, hätte ich nicht gedacht," Apropos Buch: Schulbücher liegen auch auf Mona Mittelstädts Schreibtisch. Doch ihr Lernplan, ihre Hausaufgaben und jede Menge Materialien kommen aus dem Internet. Via Datenautobahn kann sie auch mit Mitschülern und Lehrern kommunizieren, Hausarbeiten abliefern und die korrigierte Fassung in Empfang nehmen. Klausuren und Prüfungen werden aber wie zu Opas Zeiten im Angesicht eines Lehrers im Abendgymnasium erledigt.

Anders, aber machbar

Eine Form des Lernens, die auch für Gisela Delfs-Swora Neuland ist. Sie unterrichtet die Klasse von Mona Mittelstädt in Mathe und Erziehungswissenschaften - ebenfalls oft online von daheim aus. „Der Lehrer ist weniger Vermittler, sondern vielmehr Coach. Die Schüler dürfen keine Konsumentenhaltung einnehmen, Eigenverantwortung ist nötig", sagt sie. Auch wenn sie für die Fremdsprachen ein wenig mehr Präsenzunterricht für wünschenswert hält, ist sie überzeugt: „Das ist eine andere Form des Lernens, aber es ist machbar."

Rheinische Post 18.3.2003