Handlungsorientierter Unterricht in der Erwachsenenbildung
 
 

In neueren didaktisch-methodischen Veröffentlichungen und somit auch in der Lehreraus- und weiterbildung
nimmt der Handlungsorientierte Unterricht einen großen Stellenwert ein. Seine Bedeutung für den Unterricht
leitet er aus folgenden Argumenten her:

- die erweiterten Anforderungen der Wirtschaft und Wissenschaft an die Absolventen der gymnasialen
   Oberstufe, wie z.B. Kommunikations-, Kooperations-, Problemlösungs-, Entscheidungs-,Verantwortungs-
   und Lernkompetenz lassen sich nicht ausschließlich durch herkömmliche Methoden und Inhalte vermitteln,

- die lerntheoretischen Erkenntnisse, dass beim Lesen 10%, beim Hören 20%, beim Sehen 30%, beim
   Hören und Sehen 40%, beim darüber Reden 60%, beim eigenen Entdecken und Formulieren 80% und
   beim eigenen Entdecken und Überwinden von Schwierigkeiten 90% aufgenommen und behaltenwerden,
   sprechen gegen das rezeptive Lernen, (Gudjons 1997, S.8, Gugel 1997, S.39)

- die systemtheoretische und konstruktivistische Sicht des Lernens legen nahe, das Lehren nicht mit dem
   Lernen zu verwechseln, d.h. das Lernen subjektorientiert und den Lehrer als Begleiter des Lernprozesses
   zu sehen.

Eine diesen Anforderungen entsprechende Unterrichtsform ist der Handlungsorientierte Unterricht, der sich vom
herkömmlichen Unterricht zum einen durch die Betonung des Handlungsaspektes ("durch Handeln erworbenes
und zu Handlungen befähigendes Wissen") und zum anderen durch die Änderung der Lehrerrolle vom
"Instrukteur zum Lernberater" unterscheidet. (Gudjons 1997, S.8)

Zu Beginn des Handlungsorientierten Unterrichts steht ein Problem, dessen Lösung Lehrer und Lehrerinnen und
Studierende gemeinsam planen. So wird den Studierenden der Problemlösungsprozess mit Hypothesenbildung,
Materialsuche, Erarbeitungsphase und Ergebnispräsentation und -diskussion deutlich.

Diese eigenständige Bearbeitung erfordert von den Studierenden Methodenkompetenz.

Beispiele für Handlungsorientierten Unterricht findet man in der Literatur mittlerweile häufig.

Die Übertragung auf die Erwachsenenbildung führt aufgrund eines anderen Lern- und Arbeitsverhaltens
der Studierenden zu spezifischen Problemen.(vgl. Delfs-Swora 1997)

Einige seien hier kurz angesprochen:

- Die Klientel ist in Bezug auf Lernvoraussetzungen und Zielvorstellungen sehr inhomogen.

- Die Erwartungshaltungen der Studierenden sind von früheren (z.T. negativen) Lernerfahrungen in der Schule geprägt.

- Erwachsene sind oftmals eher gewissheitsorientierte Lerner, sie wollen möglichst effektiv Wissen erwerben.

- An die LehrerInnen wird die Erwartung gerichtet, nur prüfungsrelevantes Wissen zu besprechen, das die
   Studierenden sich vorwiegend reproduktiv erarbeiten wollen.

- Die daraus entstehende "Konsumentenhaltung" einiger Studierender widerspricht eigenständigem, selbstverantwortetem Lernen.

Das bedeutet, dass vor der Durchführung einer handlungsorientierten Unterrichtseinheit in der Erwachsenenbildung
folgende Grundvoraussetzungen geschaffen werden müssen:

- Die Studierenden müssen mit verschiedenen Lern- und Arbeitstechniken vertraut sein - also Methodenkompetenz erworben haben.

- Sie müssen eigenverantwortlich lernen und arbeiten können - also Lernkompetenz.besitzen.

In den unteren Semestern sollte im Hinblick auf größere Projekte in den höheren Semestern projektorientiert
gearbeitet werden, indem eigenständiges, selbstverantwortetes Arbeiten und Lernen, Kommunikation und
Kooperation im Team, Präsentation von Arbeitsergebnissen und Reflexion und Evaluation von Lernprozessen
explizit als Unterrichtsthemen behandelt werden.
Dies kann sowohl im laufenden Unterricht als auch an speziellen Projekttagen geschehen.

In höheren Semestern können dann z.B. Ausarbeitung und Durchführung politischer Reden oder Debatten im
Fremdsprachenunterricht, Analyse und anschließende Darbietung von Gedichten zu einem Thema,
Exkursionsvorbereitung, -durchführung und -nachbereitung durch Studierende oder eine eigenständige Themenerarbeitung
der Studierenden anhand verschiedener Schulbücher mit anschließender Schulbuchanalyse stattfinden.
Auch die Unterrichtsplanung und -durchführung durch Studierende ist ein mögliches Handlungsziel, so
können z.B. LeistungskursteilnehmerInnen ein Thema für den Grundkurs vorbereiten oder
Studierende anderer Fachkurse eine "Gaststunde" halten.

Auf diesen letzten Aspekt möchte ich im folgenden ausführlicher eingehen.

Am Weiterbildungskolleg Abendgymnasium Viersen unterrichtete ich im 4. Semester Erziehungswissenschaft das Thema "Lernen und Unterricht".
Eine Analyse verschiedener Lerntheorien und des eigenen Unterrichts führte zu der Idee, fächerübergreifend zu arbeiten
und eigenen Unterricht zu gestalten.

Eine kurze Absprache mit dem Kollegen des Deutschkurses, an dem alle EW-Kursteilnehmerinnen teilnahmen,
ermöglichte eine zeitliche Angleichung des Themas "Werbung" in beiden Kursen.

Im Deutschunterricht wurden Sachtexte zum Thema "Analyse der Werbung" besprochen, während die Studierenden
im EW-Unterricht den Schwerpunkt auf die "Auswirkungen der Werbung auf Kinder" legten.

Als Handlungsziel wurde ein von den Studierenden des EW-Kurses geplanter und durchgeführter Unterricht im
Deutschkurs zum Thema "Auswirkung der Werbung auf Kinder" vereinbart.

Die Studierenden erarbeiteten sich das Thema, indem sie Fragestellungen in bewußter Abgrenzung zum
Deutschunterricht entwickelten und mögliche Methoden, wie Auswertung von Artikeln und Videos und
eine Befragung einbezogen.

Die Planung, Durchführung und Auswertung der Fragebogenaktion (ein weiteres Handlungsziel, das sich
während der Arbeit entwickelte) war sehr zeitaufwendig. Die Studierenden diskutierten während der
Aufstellung der Fragen über offene oder geschlossene Fragen, Interpretationsmöglichkeiten bei einzelnen
Fragen, Beeinflussung durch die Wahl der Formulierung und gewannen dadurch einen Einblick in die
Methoden einer Befragung.

Die Auswertung erwies sich jedoch als problematisch, denn viele offene Fragen z.B. nach dem
Bekanntheitsgrad von Produkten ließen keine systematische Auswertung zu. So standen am Ende dieser
Unterrichtsphase immer noch viele unbeantwortete Fragen, zum Teil ergaben sich sogar neue.

Die Studierenden erlebten dies als stark frustrierend, viele Arbeitsstunden führten zu verhältnismäßig
geringem Erfolg; vor allem das zeitraubende Auswerten der Antworten, bei dem zusammenfassende
Merkmale für die unterschiedlichen Antworten gefunden werden mussten, trübte die anfangs hohe Begeisterung.
In der Nachbesprechung konnten als Ursachen die methodisch zu offenen Fragen und die geringe Bereitschaft
zur Beantwortung der Fragebögen ermittelt werden.

Die gemeinsame Planung und Durchführung einer Unterrichtsstunde im Deutschkurs, das ursprüngliche Handlungsziel,
musste aus zeitlichen Gründen leider entfallen.

Die Reflexion und Evaluation dieser Unterrichtseinheit vor dem Hintergrund der vorher im Unterricht
besprochenen Lerntheorien ergab auf Seiten der Studierenden eine höhere Motivation durch die
interessantere Unterrichtsform und die oben schon angesprochene Frustration bei der mühsamen und
zeitaufwendigen Auswertung der Fragebögen.

Ich sehe dieses Projekt insgesamt positiv, denn die Studierenden haben einen besseren Einblick in
wissenschaftspropädeutisches Arbeiten erhalten als sie es durch das Anfertigen und den Vortrag von
Referaten bislang erreichten. Vor diesem Hintergrund sehe ich auch den Zeitaufwand bei der Auswertung
der Fragebögen nicht so negativ wie die Studierenden, denn so haben sie eine nachhaltige Erfahrung im
Umgang mit Fragebögen erhalten und konnten auch einmal die "Fleißarbeit" von WissenschaftlerInnen erleben.
Will man diese Erfahrung vermeiden, muss man Methoden der Befragung, ihre Einsatzmöglichkeiten und
Probleme vorher ausführlich thematisieren. Hinweise während der Aufstellung des Fragebogens auf die
Problematik der Auswertung offener Fragen werden meiner Erfahrung nach nicht genügend angenommen.

Das Führen eines Journals erleichterte die Zeitplanung und hielt die Studierenden zu konsequenter Arbeit an.
Außerdem konnten Einzelarbeiten dort allen zur Einsicht gebracht werden, ohne dass alles kopiert werden musste.

Da das eigentliche Handlungsziel aus Zeitmangel nicht durchgeführt werden konnte, schlage ich vor,
aufwendige Befragungen im Vorfeld einer "Gaststunde" auszublenden oder aber den Studierenden eine Änderung
des Handlungsziels in diese Richtung bewusst zu machen, um möglicherweise demotivierende Abstriche zu vermeiden.

Ich habe dieses Unterrichtsbeispiel gewählt, um deutlich zu machen, dass Handlungsorientierter Unterricht auch
bedeuten kann, dass der Lehrer, bzw. die Lehrerin sich nicht nur auf eine geänderte Lehrerrolle, sondern auch
auf eine Änderung der Zielvorgabe einstellen können muss.

Die Wandlung vom Wissensvermittler zum Lernberater kann weite Wege erforderlich machen.
 
 
 
 

Literaturhinweise:

H. Gudjons, Handlungsorientierter Unterricht, in: Pädagogik, Handlungsorientierter Unterricht 1/1997

G. Gugel, Methoden- Manual I, Neues Lernen, Weinheim/Basel, 1997

Friedrich Jahresheft XV, Lernmethoden, Lehrmethoden, Seelze 1997

H. Gudjons, Handlungsorientiert lehren und lernen, Bad Heilbrunn 3.Aufl. 1992

K. Beyer, Handlungspropädeutischer Pädagogikunterricht Bd 1 und 2, Hohengehren 1997

G. Delfs-Swora, Was Hänschen nicht lernt... in PÄD Forum 6/1997
 
 
 
 

Diskussionsbeiträge bitte an gisela@delfs-swora.de schicken.

 

erstellt: 24.2.2004

aktualisiert: 25..9.2007
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Redaktion PÄD FORUM

Frau Dr. Griese

Postfach 171138

10203 Berlin
 
 
 
 
 
 
 
 

Rheydt, den 22.12.98
 
 
 
 

Sehr geehrte Frau Dr. Griese,
 
 

bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 13.11.98 sende ich Ihnen heute ein überarbeitetes Manuskript zum Thema "Handlungsorientierter Unterricht in der Erwachsenenbildung".

Ich hoffe, dass ich Ihr Schreiben richtig interpretiere, indem ich annehme, dass Sie Interesse an dem Thema bekunden, allerdings die vorgelegte Form nicht akzeptieren können.

Leider habe ich versäumt, Ihnen im letzten Anschreiben mitzuteilen, dass die Ihnen vor einigen Monaten vorgelegte Form des Artikels meine Arbeitsgrundlage war, er vor einer Veröffentlichung also noch überarbeitet werden sollte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Mit freundlichen Grüßen
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Gisela Delfs-Swora